Strategie Update: September 2025
Wie Zölle und Gold den Welthandel verzerren
RÜCKBLICK
DIE FINANZMÄRKTE IM AUGUST
Der Monat begann mit einem Paukenschlag – nicht wegen des Schweizer Nationalfeiertags, sondern aufgrund der von den USA per 7. August verhängten Zölle von 39% auf Schweizer Produkte. Dies bedeutete eine Verschärfung gegenüber den zuvor angekündigten 31% und liegt damit deutlich über dem Satz für Europa (15%). Weltweit ist es der vierthöchste Wert: Nur Brasilien (50%), Syrien (41%) sowie Laos und Myanmar (je 40%) sind noch stärker betroffen. Mehr zu den Hintergründen finden Sie in unserem Fokusthema. Der Schweizer Aktienmarkt reagierte auf die Ankündigung erstaunlich gelassen. Nach einem kurzen Rücksetzer in den ersten beiden Augusttagen legte er im weiteren Monatsverlauf zu. Auch die globalen Aktienmärkte zeigten sich robust und schlossen den Monat mehrheitlich im Plus – bemerkenswert, da der August historisch gesehen einer der schwächsten Börsenmonate ist. Offenbar lassen sich die Märkte vom Hin und Her der US-Politik kaum beeindrucken: Was heute verkündet wird, kann morgen schon wieder widerrufen sein.
Besonders gefragt war der Sektor Communication Services mit US-Schwergewichten wie Alphabet, Netflix und Meta, die ihre starke Jahresperformance fortsetzten. In Europa standen Finanzwerte im Fokus, vor allem Banken aus Spanien, Italien und Deutschland. Belastet wurde hingegen der französische Markt: Die Regierungskrise drückte auf Staatsanleihen und Aktien, insbesondere französische Banken gerieten unter Druck. Mit Zöllen und Subventionen verfolgt die US-Regierung das Ziel, Produktion und Investitionen zurück ins Land zu holen. Dieses industriepolitische Vorgehen zeigt sich am Beispiel von Intel: Als Gegenleistung für Milliardensubventionen zum Ausbau der US-Produktion erhält der amerikanische Staat einen 10-%-Anteil am angeschlagenen Chipkonzern. Weitere Staatsbeteiligungen bei Schlüsselunternehmen sind nicht ausgeschlossen. Der anhaltend hohe Bedarf an KI-Chips bescherte Nvidia erneut ein überraschend starkes Wachstum. Einziger Wermutstropfen: Im Kerngeschäft mit Rechenzentren (89% des Umsatzes), lagen die Erwartungen der Investoren noch etwas höher.
Bei den Rohstoffen notierte Energie im Monatsvergleich tiefer, während Edelmetalle wie Gold und Silber zulegen konnten. Besonders stark verteuerte sich Kaffee: Der Preis stieg seit Anfang August um rund 32 %. Grund dafür sind die US-Zölle auf Importe aus Brasilien, dem weltweit wichtigsten Kaffeeproduzenten, der mehr anbaut als die fünf nächstgrössten Länder zusammen. In der Geldpolitik sorgte Fed-Chef Jerome Powell am Notenbankertreffen in Jackson Hole für Bewegung: Er stellte erstmals eine Zinssenkung für die Sitzung am 17. September in Aussicht. Powell sprach von einer schwierigen Situation für die Fed – einerseits mit zunehmenden Risiken einer Abschwächung des Arbeitsmarkts, andererseits mit der Gefahr weiter steigender Inflation. Die Ankündigung stützte die Märkte.
Wenige Tage später folgte zusätzlicher Zündstoff: Präsident Trump entliess Fed-Gouverneurin Lisa Cook. Der Eingriff schürte Zweifel an der Unabhängigkeit der Zentralbank und an ihrer Fähigkeit, die Inflation unter Kontrolle zu halten. Die Zinsen kurzlaufender amerikanischer Staatsanleihen fielen und die Renditekurve wurde steiler. Die Lücke zwischen den Renditen fünf- und 30-jähriger US-Staatsanleihen vergrösserte sich auf bis zu 120 Basispunkte – den grössten Wert seit 2021.
AUSBLICK
FRAGILES WACHSTUM UND HARTNÄCKIGE INFLATION PRÄGEN DAS BILD, ZUGLEICH STEIGEN DIE HOFFNUNGEN AUF US-ZINSSENKUNGEN
Die Weltwirtschaft bleibt fragil: Das globale Wachstum verlangsamt sich, während die Inflation vielerorts hartnäckig bleibt. Die USA stehen vor herausfordernden Zeiten. Während der Arbeitsmarkt erste Schwächesignale zeigt, bleibt die Inflation hartnäckig erhöht. Ökonomen rechnen mittelfristig mit einer Teuerung von 3–4%, ein Niveau oberhalb des Fed-Ziels. Der private Konsum, bislang eine tragende Säule des Wachstums, dürfte angesichts steigender Preise und hoher Verschuldung an Dynamik verlieren. Damit wächst die Gefahr einer Stagflation. Auch in Europa bleibt die Wachstumsdynamik verhalten; es wird lediglich ein moderates BIP-Wachstum erwartet.
Asien bleibt der wichtigste positive Gegenpol: Laut Weltbank liegt das globale BIP-Wachstum 2025 nur bei rund 2.3%, bis 2027 dürfte das globale BIP-Wachstum in den 2020er Jahren im Schnitt nur 2.5% erreichen – der schwächste Wert seit den 1960er Jahren. Hingegen wächst „Emerging Asia“ weiterhin überdurchschnittlich mit erwarteten rund 4-5% für die kommenden Jahre und dürfte rund 60% zum Weltwachstum beitragen. Der Anstieg geht vor allem zu Lasten Nordamerikas, dessen Beitrag zum globalen Wirtschaftswachstum von 13% in den letzten beiden Jahren auf nur noch 8% in den Jahren 2025 und 2026 zurückgehen dürfte.
Die Notenbanken agieren in diesem Umfeld vorsichtig. In den USA wird für September eine Zinssenkung um 25 Basispunkte erwartet, weitere Schritte könnten folgen. In der Schweiz hingegen bleiben die Zinsen tief, eine Erholung ist nicht in Sicht – auch weil die gemessene Inflation sehr niedrig ist. Am Kapitalmarkt sind weiterhin Negativzinsen eingepreist, sodass die Renditen der CHF-Swapsätze selbst bei einer Laufzeit von zwei Jahren noch im negativen Bereich notieren. Dieses Umfeld bietet Kreditnehmern Vorteile: Tiefe Hypothekarzinsen stützen den Immobilienmarkt. Zusätzliche Impulse könnte die anstehende Abstimmung zur Abschaffung des Eigenmietwerts geben. Bei einer Annahme würden viele Eigentümer, insbesondere Neukäufer und Pensionierte, steuerlich entlastet, während stark belehnte oder sanierungsbedürftige Objekte eher benachteiligt wären.
Handelspolitisch bleibt die Unsicherheit hoch. Die USA sind mit Abstand der wichtigste Exportmarkt der Schweiz, insbesondere für Pharmaprodukte und Edelmetalle. Diese sind bislang von den neuen Zöllen ausgenommen, doch die Belastung für kleine und mittlere Unternehmen ist spürbar. Während global aufgestellte Konzerne widerstandsfähiger sind, stehen KMU stärker unter Druck – zugleich entstehen durch Krisen auch Chancen für Innovation und Effizienzsteigerungen in der Schweizer Industrie.
An den Kapitalmärkten halten sich Optimismus und Skepsis die Waage. Die Aussicht auf sinkende US-Zinsen stützt die Aktienmärkte, doch die Bewertungen sind in vielen Bereichen bereits ambitioniert. Besonders gefragt bleiben Unternehmen mit hoher Preissetzungsmacht, die steigende Kosten weitergeben können. Rohstoffe bieten in diesem Umfeld einen wichtigen Inflationsschutz.
FOKUS
WIE ZÖLLE UND GOLD DEN WELTHANDEL VERZERREN
Die Strafzölle der USA auf Schweizer Exporte haben die Handelsbeziehungen erschüttert. Der hohe Steuersatz von 39 % erklärt sich offiziell mit dem Handelsdefizit – doch die Zahlen werden durch den Goldhandel massiv verzerrt. Die Schweiz spielt als globales Raffineriezentrum eine Schlüsselrolle: Ein Grossteil des weltweit gehandelten Goldes wird hier verarbeitet und über London oder New York weiterverteilt.
ZOLLSTREIT
Ausgerechnet am Nationalfeiertag der Schweiz kam der grosse Schock aus den USA: Exporte in die Vereinigten Staaten werden künftig mit einem Tarif von 39 % belegt. Dieser Satz liegt deutlich über den 31 %, die am «Liberation Date» angekündigt worden waren, und gehört zu den höchsten weltweit – nur Indien, Brasilien, Syrien und Myanmar sind stärker betroffen. Wie konnte es so weit kommen? Zum Vergleich: Die EU konnte sich mit gewissen Zugeständnissen einen deutlich tieferen Zollsatz von 15 % sichern. Dass die vom Weissen Haus verhängten Zölle zu einem gewissen Grad willkürlich erscheinen, ist inzwischen bekannt. Die offizielle Argumentation ist jedoch simpel: Je grösser das Handelsdefizit, desto höher der Strafzoll. Genau dies ist auch unter anderem die Begründung, weshalb die Schweiz so stark betroffen ist. Im ersten Quartal 2025 belief sich das Handelsdefizit mit den USA auf sage und schreibe 54 Milliarden USD! Damit rangiert die Schweiz auf Platz vier aller Handelspartner – direkt hinter China. Doch wie kann ein vergleichsweise kleines Land, das in erster Linie als Dienstleistungsland gilt, ein derart hohes Defizit ausweisen? Ein genauerer Blick auf die Zahlen zeigt: Historisch betrachtet war das Defizit deutlich tiefer und schoss erst zu Beginn dieses Jahres sprunghaft in die Höhe. Der Grund dafür ist schnell gefunden – das Gold.
ROLLE DER SCHWEIZ
Oft kaum sichtbar, aber von enormer Bedeutung – ein Grossteil des weltweiten Goldhandels führt über die Schweiz – genauer gesagt über das Tessin. Bis zu 70 % des jährlich weltweit geförderten Goldes passieren die fünf grossen Raffinerien des Landes, wo es eingeschmolzen, gereinigt und zu neuen Barren oder Halbprodukten verarbeitet wird. Diese zentrale Rolle der Schweiz hat historische Wurzeln. Dank politischer Stabilität, einer starken Tradition im Edelmetallhandel und hoher technologischer Standards hat sich die Schweiz seit Jahrzehnten als globaler Hub für Gold etabliert. Für den internationalen Handel bedeutet dies, dass Schwankungen in den Import- und Exportzahlen von Gold das gesamte Handelsbilanzbild der Schweiz massiv verzerren können – unabhängig davon, ob das Gold letztlich in der Schweiz verbleibt oder nur «durchgeschleust» wird. Damit erklärt sich auch, weshalb das Handelsdefizit mit den USA im Jahr 2025 so plötzlich explodiert ist. Durch umfangreiche «Hamsterkäufe» von physischem Gold wurde die Handelsbilanz in diesem Zeitraum erheblich verzerrt. Der Anstieg ist damit weniger ein Ausdruck eines tatsächlichen Konsum- oder Produktionsungleichgewichts, sondern vielmehr das Resultat dieser besonderen Rolle der Schweizer Goldindustrie.
LONDON – NEW YORK
Beim Goldhandel – wie generell im Rohstoffmarkt üblich – wird zwischen einem Spot- und einem Terminmarkt unterschieden. Der Spotmarkt für Gold befindet sich in London bei der London Bullion Market Association (LBMA). Dort handelt man hauptsächlich ausserbörslich (OTC), also direkt zwischen den Marktteilnehmern.
Grundlage des Austausches sind 400 Unzen-Barren (ca.12.4 kg), die in etwa die Grösse eines Ziegelsteins haben. In New York hingegen findet der Termin-Markt an der COMEX statt. Hier werden Terminkontrakte auf Goldbarren gehandelt. Im Unterschied zu London ist dieser Markt deutlich liquider – unter anderem deshalb, weil es in der Regel nicht zu einer physischen Lieferung kommt. Stattdessen werden die Terminkontrakte meist vor Fälligkeit gegeneinander aufgerechnet oder in spätere Kontrakte «gerollt». Sollte jedoch eine physische Lieferung verlangt werden, erfolgt diese nicht in den grossen 400-Unzen-Barren, sondern in standardisierten 100 Unzen (ca. 3.1 kg), die von der Grösse her einem Smartphone ähneln. Hier kommt die Schweiz als Raffinerie Hub ins Spiel. Die für die Abwicklung an der New Yorker Börse benötigten Barren werden zunächst in London gekauft, anschliessend in der Schweiz eingeschmolzen und neu gegossen, bevor sie schliesslich nach New York verschifft werden. Dieser Prozess verursacht nicht nur Raffineriekosten, sondern auch erhebliche Aufwendungen für Transport und Versicherung. Dies führt dazu, dass der Terminpreis in New York in der Regel höher als der Spotpreis in London notiert – in der Finanzwelt sagt man diesem Effekt Contango. Der Käufer des Terminkontraktes ist bereit eine Prämie für den zukünftigen Gold Preis zu bezahlen. Vereinfacht gesagt, der Händler in New York bezahlt einen Aufschlag unter anderem für die Verarbeitung und den Transport von London nach New York.
STRESS IM SYSTEM
Die Prämie – also der Unterschied zwischen Termin- und Spotpreis – setzt sich grundsätzlich aus Zins-, Lagerhaltungs-, Raffinerie- und Transportkosten zusammen und bleibt, abgesehen vom Zinsniveau, relativ konstant. In den letzten Wochen kam es jedoch zu einer deutlichen Ausweitung dieses Preisunterschieds. Grund war die Unsicherheit darüber, ob Goldimporte aus der Schweiz von den neuen US-Zöllen betroffen sein würden. Am 8. August berichtete die Financial Times, dass Gold tatsächlich unter die Strafzölle fallen könnte. In der Folge schossen die US-Gold-Futures an der Börse in New York auf ein neues Tageshoch von 3’534 USD pro Feinunze, während die Preise am Spotmarkt in London weitgehend unverändert blieben. Damit weitete sich die Preisdifferenz zwischen beiden Handelsplätzen auf über 2% aus. Der Grund dafür liegt auf der Hand: Für die physische Lieferung der in New York gehandelten Futures werden Barren benötigt, die in der Regel in der Schweiz raffiniert werden. Wären diese tatsächlich mit einem Zollsatz von 39 % belastet worden, hätte dies die Kosten für die Lieferung nach New York massiv verteuert. Der Goldmarkt wäre in Schieflage geraten, da die Preisdifferenz zwischen New York und London noch grösser geworden wäre und potenzielle Arbitrage Möglichkeiten entstanden wären. Nur kurze Zeit später folgte jedoch die Entwarnung seitens der US-Regierung: Gold sei von den Strafzöllen ausgenommen. Diese Nachricht führte umgehend zu einer Normalisierung der Lage – die Preise in New York beruhigten sich wieder und die hohe Prämie zum Londoner Spotmarkt verschwand.
VOLLE LAGER IN NEW YORK
Auch wenn die jüngsten Entwicklungen zu einem deutlichen Anstieg des Stresses im System geführt haben, kam die Nachricht für viele Händler nicht völlig überraschend. Bereits seit Jahresbeginn wurden die Goldbestände in New York kontinuierlich aufgestockt. Das dafür benötigte Gold gelangte schon früh im Jahr über die Schweiz in die USA, um für mögliche physische Lieferungen bereitgestellt zu werden. In den grossen COMEX-Depotstellen – insbesondere bei Brinks, HSBC und JP Morgan –lagern derzeit rund 40 Millionen Unzen Gold – das entspricht etwa 1’235 Tonnen mit einem Marktwert von rund 95 Milliarden USD! Zum Vergleich im November 2024 als Trump zum Präsidenten gewählt wurde betrug der Goldbestand mit 17 Millionen Unzen noch weniger als die Hälfte der heutigen Lagerbestände. Dieser massive Aufbau von Beständen verdeutlicht, wie gross die Unsicherheit im Markt momentan ist. Marktteilnehmer haben vorsorglich gehandelt, um sich gegen mögliche Lieferengpässe oder regulatorische Überraschungen abzusichern – ein klares Signal dafür, dass das Vertrauen in die Stabilität der Handelsströme derzeit fragil ist.
GOLD BLEIBT EIN KRISENSPIEGEL
Die politischen Unsicherheiten und die jüngsten Zollmassnahmen haben den Goldmarkt in eine Phase aussergewöhnlicher Anspannung geführt. Die Schweiz spielt dabei eine zentrale Rolle, da ein grosser Teil des globalen Goldhandels über ihre Raffinerien abgewickelt wird. Der massive Aufbau von Goldbeständen in den grossen COMEX-Depotstellen ist mehr als nur eine Reaktion auf Handelszölle: Er spiegelt das Misstrauen gegenüber der Stabilität der internationalen Handelsströme wider. Zugleich schafft die Komplexität der Lieferkette finanzielle Anreize für alle, die an diesem Prozess beteiligt sind – von Raffinerien über Transportunter-nehmen bis hin zu Händlern, die bereit sind, das Risiko auf sich zu nehmen, Goldbarren zu kaufen und nach New York zu verschiffen. Gerade diese Strukturen offenbaren aber auch die Schwächen des Systems: In Stresssituationen zeigt sich, wie fragil die Handelsströme tatsächlich sind. Der aggressive Aufbau von Goldbeständen in den USA lässt sich auch als Teil einer breiteren strategischen Absicherung deuten. In Zeiten globaler Unsicherheit gilt physisches Gold für Staaten, Banken und Investoren als ultimative Reserve, um sich gegen Währungsrisiken, Zahlungsausfälle und geopolitische Eskalationen abzusichern. Die Parallelen zur Geschichte sind auffällig: In den 1960er-Jahren holte Frankreich unter Charles de Gaulle grosse Teile seiner Goldreserven aus den USA zurück, weil das Vertrauen in den Dollar schwand. Heute sehen wir ähnliche Muster, nur dass diesmal die USA selbst ihre physischen Bestände massiv aufstocken. Die Kombination aus hohen Zöllen, massiven Goldkäufen und wachsendem Misstrauen könnte ein Hinweis auf eine tieferliegende geopolitische Neuausrichtung sein. Ob dies eine Vorbereitung auf grössere wirtschaftliche Konflikte oder gar militärische Spannungen ist, bleibt offen. Sicher ist jedoch: Gold spiegelt heute wie damals die Angst vor einem systemischen Bruch wider.

