Strategie Update: März 2025
Halbleiterindustrie 2.0 – Muss das Silicon Valley bald den Namen ändern?
RÜCKBLICK
DIE FINANZMÄRKTE POLITISCHEN EREIGNISSE IM FEBRUAR
Seit dem Amtsantritt von Donald Trump vergeht kaum ein Tag, an dem er und seine Regierung keine neuen Gesetze, Zölle, Vorhaben oder Ideen verkünden. Kein amerikanischer Präsident legte in den letzten 40 Jahren in seinen ersten Amtstagen ein derart hohes Tempo vor. Im ersten Monat seiner zweiten Amtszeit vollzog er mehr als 70 «Executive Orders». Die Anordnungen, die nach Ansicht von Trump-Kritikern seine verfassungsmässigen Befugnisse überschreiten, reichen von Zöllen gegen Mexiko, China und Kanada über die Aussetzung der Auslandshilfe und ein hartes Durchgreifen gegen illegale Einwanderung bis hin zum Verbot des Dienstes von Transgender-Personen im Militär und der Verwendung von Bundesmitteln für geschlechtsangleichende medizinische Versorgung von Minderjährigen. Obwohl für viele Anleger klar war, dass Donald Trump seinem Ziel aus der ersten AMtszeit «America First» treu bleiben wird, überraschte doch viele die Geschwindigkeit und Höhe der neuen Strafzölle. Auf Zölle gegen Mexiko, Kanada und China werden später wohl weitere Zölle gegen Europa oder auch gegen die Schweiz folgen. Im Jahr 2024 lieferte die Schweiz fast viermal so viele Güter in die USA wie sie von dort bezog. Dies resultiert in einem Handelsbilanzdefizit für die USA mit der Schweiz von fast $20 Mrd. Von den gesamten Schweizer Exporten stammen fast zwei Drittel der Güter aus der Pharma- und Chemiebranche. Die Märkte reagierten umgehend auf jede neue Ankündigung von Strafzöllen mit teilweise starken Verlusten. In Europa hat es einmal mehr die deutschen Autobauer getroffen, diese gaben die Teile der Gewinne der letzten Wochen wieder her. Auch aussenpolitisch scheint die Trump-Regierung überall zu sein.
An einem Tag will man Grönland kaufen – der Klimawandel öffnet den Seeweg nach Russland, eine US-Armeebasis scheint unausweichlich, am nächsten Tag will man den Gazastreifen besetzen und zum Schluss den Ukraine-Krieg beenden ohne den Einbezug von Europa. Dies erhöhte den Stellenwert der europäischen Sicherheitskonferenz in München sicherlich nicht, zumal weder die USA noch Russland teilnahmen. Ein Weckruf an Europa: Die Verteidigung sollte schlussendlich nicht «Out-sourced» werden. Bislang sind die Gewinner vor allem jene Unternehmen, welche von tiefen Gaspreisen profitieren, vom Wiederaufbau der Ukraine oder der Aufhebung von Handelsverboten mit Russland. Deutschland wählte ein neues Parlament. Die Union mit ihrem Kanzlerkandidaten Friedrich Merz hat die Bundestagswahl nach der Auszählung aller Wahlkreise gewonnen – mit grossem Abstand vor der AfD und der SPD, die in ein historisches Tief stürzt. BSW und FDP scheitern an der Fünf-Prozent-Hürde und verpassen den Einzug ins Parlament. An vierter Stelle folgen die Grünen, und auch die Linke ist im Bundestag vertreten. Eine «Grosse Koalition » zwischen der Union und der SPD scheint aktuell die wahrscheinlichste Regierung. Dass die AfD die 20%-Marke knackte und damit der klare Wahlgewinner ist, wird für die deutsche Demokratie immer mehr zur Zensur. Keine Partei will mit der AfD zusammenarbeiten oder mit deren Stimmen neue Vorlagen im Parlament durchbringen («Brandmauer»); langfristig beschneidet sich das deutsche Parlament damit aber wohl selber, und die dringend nötigen Veränderungen rücken wohl in weite Ferne.
AUSBLICK
DIAMETRALER JAHRESSTART
Diejenigen, welche die Weihnachtsferien direkt mit den Skiferien verbunden haben, sollten einen Blick auf die Finanzmärkte werfen. Alles scheint sich diametral verschoben zu haben. Waren amerikanische Aktien der Star im letzten Jahr, hinken sie seit Jahresbeginn den Europäern und auch den Schweizer Aktienwerten hinterher. Sektoren, welche im letzten Jahr von den Anlegern gemieden wurden, sind neu «en Vogue». Zu ihnen zählen sicherlich Unternehmen aus dem Energiesektor oder dem Materialien-Bereich. Auch stellen die angestrebten Veränderungen der Trump-Regierung sowohl Währungshüter, Unternehmen als auch Investoren vor neue Herausforderungen. Die neu eingeführten Zölle erhöhen zum einen den Inflationsdruck in den USA. Produkte und Dienstleistungen werden teurer und treiben die Inflation an. Ökonomen gehen davon aus, dass die Kerninflation in den USA dadurch um 0.7 % auf bis zu 4 % ansteigen könnte – und dort auch bleibt.
Unternehmen könnten die Zölle für überproportionale Preiserhöhungen ausnutzen, also Preiserhöhungen, welche die höheren Input-Kosten mehr als ausgleichen. Damit würde ihre Profitabilität deutlich zunehmen. Dies könnte vorderhand auf Marktführer von nicht-zyklischen Produkten und Dienstleistungen zutreffen. Offen bleibt die Frage, ob die Konsumenten die neuerlichen Preissteigerungen überhaupt bezahlen können. Noch sind die Konsumausgaben vor allem für Dienstleistungen weiterhin leicht zunehmend. Zum «Party-Killer » können die stark angestiegenen Hypothekarkosten in den USA werden. Konsumausgaben verantworten in den USA immerhin rund 70 % des Wirtschaftswachstums, und die USA fungieren als globaler Wachstumsmotor. Noch befindet sich der Arbeitsmarkt in einer gesunden Verfassung. Auch das Lohnwachstum liegt deutlich über der Kerninflation. Doch einer der grössten Arbeitgeber in den USA baut derzeit Stellen ab – der amerikanische Staat. In diesem Zusammenhang gilt es, Trumps «Sheriff» Elon Musk zu erwähnen. Denn dieser wurde vom Präsidenten beauftragt, den Regierungsapparat einer Verschlankungskur zu unterziehen, und machte ihn zum Vorsteher des DOGE (Department of Government Efficiency). Musk soll dem amerikanischen Staat 2 Billionen Dollar einsparen, in Realität wird es wohl deutlich weniger sein. Denn die Staatsangestellten in Washington sind gut organisiert mit grossen Gewerkschaften im Rücken. Auch werden gewisse Massnahmen gerichtlich angefochten, und einige müssen wohl rückgängig gemacht werden. Für eines der höchstverschuldeten Länder scheint eine solche Sparkultur aber unausweichlich. Zudem können andere Länder, die bereits vor längerer Zeit mit dem Abbau der Bürokratie begonnen haben, wie etwa Argentinien, erste Erfolge verzeichnen. Solche Massnahmen würden Europa auch nicht schaden.
Dies schürt Ängste, dass der Konsummarkt schwächer wird und dadurch das Wirtschaftswachstum stärker leiden wird als bislang von Ökonomen angenommen. Diese beziffern die Wachstumseinbussen in den USA derzeit auf bis zu 0.4 %. Einmal mehr stehen die Währungshüter vor einem Dilemma. Inflationsdruck sollte durch höhere Zinsen bekämpft werden, gleichzeitig könnten tiefere Konsumausgaben das Wachstum bremsen und Spuren im Arbeitsmarkt hinterlassen, die mit Zinssenkungen ausgeglichen werden müssten.
FOKUS
HALBLEITERINDUSTRIE 2.0 – MUSS DAS SILICON VALLEY BALD DEN NAMEN ÄNDERN?
Zusammen mit Clelia Beck und Dan Choon beleuchten wir das Entwicklungspotenzial der Halbleiterindustrie. Wer denkt diese Industrie sei bereits am Ende des Innovations-Zyklus, der irrt sich. Clelia und Dan sind die Gründer der Cycle Group, welche Venture Investitionen in «Deep-Tech» Firmen tätigt.
Könnt Ihr uns bitte kurz Euren beruflichen Werdegang erzählen und erklären, was Euer Interesse an Deeptech geweckt hat und wie Ihr letztendlich dazu gekommen seid, Euch darauf zu konzentrieren?
Clelia: Bevor ich zur Cycle Group kam, war ich ein Jahrzehnt lang als erfolgreiche Unternehmerin in Hongkong und China tätig und konzentrierte mich auf den Aufbau von Unternehmen in der Bekleidungsindustrie, den Technologietransfer und die Expansion europäischer Unternehmen nach Asien. Beim Treffen mit Dan und Stephane, erkannte ich sofort das immense Potenzial ihres Unterfangens und beschloss meine bestehenden Unternehmungen in Asien zu verkaufen und investierte alles, was ich jemals verdient hatte, in die Gründung des Fonds.
Dan: Wissenschaft und Technologie sind seit meiner frühen Kindheit meine Leidenschaft. Parallel zur High School erhielten meine Freunde und ich die Erlaubnis, Universitätskurse in Informatik, Mathematik und Physik zu besuchen. Später war ich Mitbegründer eines Projekts für begabte Schüler, das sich auch praktisch in der Forschung engagierte und von wissenschaftlichen Einrichtungen in Heidelberg, wo ich aufgewachsen bin. Später gründete ich ein Unternehmen an der Schnittstelle zwischen dem, was man heute als Fintech und KI bezeichnen würde. Allerdings ging der VC-Fonds, der in uns investieren sollte, kurz nach der Zusage in Konkurs. Im Jahr 2017 beschloss ich, meinen eigenen Risikofonds zu gründen, um mutigere technische Investitionen tätigen zu können, die eine echte Wirkung haben.
Cycle Group konzentriert sich auf Deeptech-Investitionen in Europa. Was hat Euch zu dieser strategischen Entscheidung bewogen, besonders im Vergleich zu den USA, wo viele andere Venture Capital Fonds aktiv sind? Welche besonderen Chancen oder Herausforderungen seht Ihr im europäischen Deeptech-Ökosystem?
Clelia: Die Vereinigten Staaten sind weithin als führend im Bereich der Spitzentechnologie anerkannt, doch Europa ist in bestimmten Bereichen wie der Power-Elektronik und den fortschrittlichen Werkstoffen weiterhin stark vertreten. Aufgrund des fehlenden Wettbewerbs durch Investoren mit fundierten technischen Kenntnissen besteht die Möglichkeit, grossartige Opportunitäten zu entdecken und zu niedrigeren Bewertungen als in den USA zu investieren. Es ist jedoch wichtig, weniger ausgereifte Ökosystem und die beträchtliche Lücke in der Serie-C-Finanzierung zu berücksichtigen.
Die Halbleiterindustrie ist ein wichtiger Schwerpunkt für Cycle Group. Wenn Ihr 20 Jahre in die Zukunft blickt, wie würdet Ihr den aktuellen Stand der Halbleiterentwicklung im Hinblick auf langfristige Trends und Durchbrüche einschätzen? Welche Meilensteine müssen noch erreicht werden?
Dan: Wenn man nur 5 Jahre in die Zukunft blickt, haben die prognostizierten Halbleitermärkte bereits eine jährliche Marktgröße von 1 Billion Euro. Das mag gross erscheinen, aber ich bin überzeugt, dass wir erst den Anfang sehen. Es ist schwierig, exponentielles Wachstum intuitiv zu erfassen, aber als Anekdote kann man all die zahlreichen Verbrauchergeräte wie Telefone, Musikplayer, Taschenrechner, Zeitungen vergleichen, die durch ein einziges halbleiterfähiges Gerät, das Smartphone, ersetzt worden sind. Wenn wir nun Jahrzehnte in die Zukunft projizieren, wird vieles von dem, was wir derzeit an schwerer Energieinfrastruktur bauen – von Umspannwerken für die Stromumwandlung bis hin zu Motoren und chemischen Reaktoren – meiner Meinung nach durch fortschrittliche Halbleiter der 3., 4. und 5. Generation ersetzt.
Welche Bereiche innerhalb der Halbleitertechnologie bergen Eurer Meinung nach das grösste Entwicklungspotenzial in den kommenden Jahren? Wie könnten diese Entwicklungen die Struktur und Dynamik der Halbleiterindustrie verändern?
Dan: Innerhalb des nächsten Jahrzehnts werden Halbleiter der 3. und 4. Generation, die auf Materialien mit breiter Bandlücke (WBG) basieren, einen 10- bis 100-fachen Energiedurchsatz bei deutlich höherer Energieeffizienz ermöglichen und damit ein intelligenteres und saubereres Stromnetz schaffen. Materialien wie Siliziumkarbid (SiC) und Galliumnitrid (GaN) werden die Effizienz in allen Bereichen von mobilen Geräten bis hin zu neuen Elektrofahrzeugen steigern. Die 5G- und 6G-Signalübertragung bis hin zu Terahertz-Anwendungen wird mit diesen Materialien, die bei viel höheren Frequenzen schwingen können, endlich kommerziell durchführbar sein. Diese Umstellung auf WBG wird durch eine erhebliche Kostenreduzierung ermöglicht, die wir bereits bei unserem Portfoliounternehmen Element 3-5 beobachten können.
Könnt Ihr für unser Publikum kurz und verständlich erklären, was ein Silizium-wafer ist und welche Rolle er in der Halbleiterfertigung spielt?
Clelia: Halbleiter können aus verschiedenen Substraten bestehen, wobei Siliziumwafer derzeit die vorherrschende Wahl sind. Es wird jedoch erwartet, dass die Verwendung von Galliumnitrid (GaN) aufgrund seiner überlegenen Leistung in naher Zukunft Silizium überholen wird.
Galliumnitrid (GaN) wird als Alternative zu Silizium in der Halbleiterfertigung diskutiert. Was sind die wichtigsten Vorteile von GaN gegenüber Silizium in Bezug auf Leistung, Effizienz oder andere relevante Faktoren?
Clelia: Die Verwendung von GaN als Substrat ermöglicht deutlich energieeffizientere Geräte, die neue Anwendungen ermöglichen. Dank der Innovationen von Element 3-5 (eines unserer Portfoliounternehmen) können GaN-Wafer jetzt zu einem Bruchteil der derzeitigen Kosten hergestellt werden, was zu einer Senkung des Energieverbrauchs um 90% führt. Dieser Durchbruch hat das Potenzial, die Branche zu revolutionieren, da die überlegene Leistung von GaN bisher durch die hohen Kosten behindert wurde.
Dan: Es kann auch weitaus höheren Temperaturen standhalten, was es haltbarer macht, und nicht zuletzt ist GaN auch ein photonisches Material (zusammen mit Isamu Akasaki und Hiroshi Amano erhielt Nakamura 2014 den Nobelpreis für Physik „für die Erfindung effizienter blauer Leuchtdioden). Die von uns identifizierten Innovationen in der GaN-Fertigung können daher marktverändernde Auswirkungen auf die (CMOS-kompatible) Photonik haben und eine neue optische Kommunikation zwischen Chips ermöglichen, die Rechenzentren erheblich energieeffizienter machen wird.
Welche neuen Möglichkeiten können aus dieser Technologie entstehen?
Dan: Enorme Möglichkeiten liegen in der Kostensenkung bei der Stromübertragung, der Telekommunikation und der modernen Datenverarbeitung. Allein der Markt für Energieeffizienz in der Leistungselektronik wird einen adressierbaren Gesamtmarkt von mehreren hundert Milliarden Euro pro Jahr übersteigen. Für die Halbleiterindustrie wird bis 2030 ein jährlicher Umsatz von über 1 Billion Euro prognostiziert.
Clelia: Diese Technologie ermöglicht auch die Umgestaltung des Energienetzes durch den Ersatz traditioneller Materialien, wie seltener Metalle wie Kupfer, die oft mit schlechten Abbaubedingungen, Engpässen und Preisschwankungen verbunden sind. In Zukunft werden Halbleiter eine entscheidende Rolle dabei spielen, das Energienetz intelligenter und effizienter zu machen. Gegenwärtig gelangt nur ein kleiner Teil der in Kohleoder Kernkraftwerken erzeugten Energie in unsere Haushalte, da sie ineffizient ist (etwa 10 %). Durch die Integration von Halbleitern können diese Unzulänglichkeiten jedoch erheblich verringert werden, was zu einem intelligenteren, effizienteren und widerstandsfähigeren Energienetz von morgen führen wird.
Wie schätzt Ihr den Zeitrahmen ein, bis die Vorteile von GaN-Technologien für Endverbraucher spürbar werden? In welchen Bereichen erwartet Ihr die ersten und deutlichsten Auswirkungen?
Dan: GaN-Ladegeräte sind bereits kommerziell im Handel erhältlich. Mit hoher Wahrscheinlichkeit ist Ihr neues iPhone oder Samsung-Ladegerät ein GaNGerät. Auch viele Anwendungen wie das Schnellladen von Elektrofahrzeugen benötigen entweder SiC- oder GaN-Leistungselektronik. Die breitere Implementierung dieser Chips wird bald branchenweit folgen, da sie erschwinglicher werden und in mobile Geräte, Autos und intelligente Stromnetze integriert werden. Die Verarbeitungstechnologie von Element 3-5 ermöglicht eine erhebliche Senkung der Herstellungskosten, so dass wir mit einer Masseneinführung innerhalb der nächsten 2-3 Jahre rechnen.
Somit müsste sich das Silicon Valley in Gallium Valley umbenennen?
Clelia: (Lacht) Vielleicht sollten wir die Gegend um Aachen, in der sich Element 3-5 befindet, „Gallium. Valley“ nennen.
Dan: Lustigerweise hat ein Unternehmen in Belgien eine Initiative namens GaN Valley gestartet. Auch wenn dieses spezielle Unternehmen, BelGaN, es nicht geschafft hat, gibt es ein großes Interesse an dieser Umstellung auf die GaN-Technologie.
Wie nehmen die etablierten Unternehmen der Halbleiterindustrie die Entwicklung der Galliumnitrid-Technologie (GaN) wahr? Gibt es bestimmte Gründe, warum diese Unternehmen bisher zögerlich waren, signifikant in die GaN-Wafer-Produktion zu investieren?
Dan: Sie haben überhaupt nicht gezögert. Die jüngsten Übernahmen von Transphorm durch Renesas für 345 Millionen Dollar, die Übernahme von Finwave durch Global Foundries und andere haben gezeigt, dass sich der Markt massiv in diese Richtung bewegt.
Clelia: Man sollte meinen, dass diese riesigen Konglomerate, die über Billionen an Finanzmitteln verfügen, die besten Wissenschaftler einstellen und die besten Lösungen entwickeln. Diese Wissenschaftler sind jedoch immer noch durch den etablierten Rahmen des Unternehmens eingeschränkt und können nicht über den Tellerrand hinausschauen. Daher ist es oft vorteilhafter, mit brillanten Wissenschaftlern zusammenzuarbeiten, die diese Unternehmen verlassen haben und die Freiheit haben, über die traditionellen Grenzen hinaus zu denken.
Findet ihr in Europa ein gutes Umfeld für solche Innovationen vor resp. was vermisst ihr oder würdet ihr gerne ändern?
Clelia: Obwohl die Universitäten und Institute in Europa in einigen Bereichen immer noch weltweit führend sind, holt Asien schnell auf und ist in vielen Bereichen führend. Was ich gerne ändern würde, ist, dass Technokraten, Ingenieure und nicht Bürokraten bestimmen, wie und wo die EU ihre Gelder in die Innovation steckt. Das würde die Verschwendung von Steuergeldern verhindern und den Fortschritt sichern. Ausserdem wäre es für private Investoren von Vorteil, dem Beispiel der USA und Asiens zu folgen und mehr in Innovationen zu investieren. Außerdem behindert die übermässige Regulierung durch die EU die Innovation und muss abgebaut werden.
Es wird oft über einen technologischen Rückstand Europas gegenüber den USA und China diskutiert. Glaubt Ihr, dass Europa das Potenzial hat, diesen Rück-stand aufzuholen und seine Position als führender Technologie- Hotspot wieder-zugewinnen? Welche konkreten Schritte wären dafür erforderlich?
Clelia: Nein, ich glaube, das ist leider ein wilder Traum. Es gibt zwar immer noch einige Bereiche, in denen wir uns weltweit auszeichnen, aber ohne angemessene Unterstützung in Form von Finanzierung, Deregulierung, gezielten Zuschüssen und einem Umdenken werden diese Stärken in den nächsten 10-20 Jahren ebenfalls verloren gehen. Ich komme aus Asien, wo eine ganz andere Arbeitsethik vorherrscht. Ich habe die Hingabe und das Engagement der Menschen für ihre Unternehmen (Gründer und vor allem die Mitarbeiter) hautnah miterlebt. Es ist an der Zeit, dass Europa aufwacht.
Dan: Für jede Regel gibt es Ausnahmen, und ASM Lithography (ASML) ist wahrscheinlich das beste und bekannteste Beispiel. Ich glaube nicht, dass Technologie am besten als Nullsummenspiel gespielt wird. Wenn man die Herstellung von Hardware skalieren und mit den Kosten konkurrieren will, muss man skalieren, aber es gibt auch den Ansatz des „fabless“, mit dem Unternehmen wie NVIDIA, AMD und Dolby Digital enormen Erfolg haben.
Deeptech und Halbleitertechnologien sind Themen von großem Interesse für Investoren. Wie würdet Ihr die aktuelle Situation bei der Kapitalbeschaffung für Deeptech- Venture-Capital-Fonds in Europa beschreiben? Gibt es besondere Herausforderungen oder Chancen?
Dan: Das Interesse scheint riesig zu sein, aber es ist ohnehin schwierig, die richtigen Investoren zu finden. Viele investieren nur einen kleinen Teil in Risikofonds. Viele bevorzugen auch alteingesessene Fondshäuser, die eine konsistente Diversifizierung und stabile Erträge nachweisen können. In unserem Fall sind wir viel konträrer und ehrgeiziger, was die Technologien angeht, die wir unterstützen, daher sind wir wohl nicht für jeden geeignet.
Clelia: Es war auch höchste Zeit für einen Reset. Ich halte es für eine gute Sache, dass nicht jeder „Deeptech“- Manager leicht Geld auftreiben kann. Es sollte sehr schwer sein, Geld von Dritten zu beschaffen. Denn es ist mit einer großen Verantwortung verbunden.
Was möchtet ihr zum Schluss noch gerne los werden?
Clelia: Europa war jahrhundertelang ein Zentrum der Innovation. Es brachte die klügsten Köpfe und die besten Ideen hervor. Lassen Sie uns die wenigen Branchen fördern, in denen wir noch führend sind. Geben wir den klügsten Gründern die Möglichkeit, Europa auf der Landkarte der Innovation zu halten. Vermitteln wir der nächsten Generation eine widerstandsfähigere, kühnere und wagemutigere Denkweise. Einen Geist, der die Freiheit hat, zu innovieren, zu iterieren, sich anzupassen und zu übertreffen.
Dan: Ich tue, was ich liebe, und ich liebe, was ich tue. Ich bin sehr dankbar dafür, dass ich einen sinnvollen Beruf habe, der mir die Möglichkeit gibt, Gründern dabei zu helfen, neue Technologien voranzutreiben, die die Gesellschaft weltweit nachhaltiger und intelligenter machen können. Die einzige persönliche Schwierigkeit ergibt sich daraus, dass dieser Job ununterbrochen und immer sehr intensiv ist. Manchmal wünschte ich mir auch, wir hätten keine geregelten und damit recht anspruchsvollen Strukturen, aber unsere Idee war es, alles abzusichern, und ich denke, dass der Verwaltungsaufwand auf lange Sicht eine gute Investition ist, da er Sicherheitsebenen schafft. Zum Glück habe ich schon als Kind Briefmarken gesammelt, sonst wäre ich mit den KYC- und AML-Prozessen überfordert gewesen.

