Strategie Update: Juni 2025
Aktienindizes als Spiegel des Strukturwandels
RÜCKBLICK
DIE FINANZMÄRKTE IM MAI
Hin und her – beschreibt wohl am besten das Geschehen rund um die „Zollpolitik“ des amerikanischen Präsidenten Donald Trump. Gleich zu Beginn des Monats vereinbarten die USA und China eine Reduktion der zuvor festgelegten Handelszölle für die nächsten 90-Tage. Neu werden chinesische Güter, welche in die USA exportiert werden, mit 30% Zöllen belastet (zuvor 145%) und amerikanische Güter, welche in China importiert werden, mit 10% an Zöllen versehen (zuvor 125%). Wie chaotisch das Ganze abläuft, zeigte sich zuletzt mit der Ankündigung Trumps, Güter aus der EU ab 1. Juni mit einem 50% Zoll zu belasten, nur um 2 Tage später und nach einem Telefonat mit EU-Kommissions-Präsidentin Ursula von der Leyen eine 180 Grad-Wende zu vollziehen. Es gelten weiterhin 10% Zölle auf Güter aus der EU und die Verhandlungsdauer wurde bis zum 9. Juli verlängert. Seit dem „Liberation Day“ resp. der Eskalation des Zollstreits war die Trump Regierung bisher alles andere als erfolgreich. Bislang ist lediglich ein unspektakulärer Deal mit Grossbritannien zustande gekommen. Alle anderen Aktionen sind und waren Schadensbegrenzung. Die Aussetzung von Zöllen für ein bestimmtes Zeitfenster ist nicht wie von Medien betitelt ein „Deal“ sondern lediglich eine Pause. Der Schaden ist bereits angerichtet: Vertrauensverlust, volatiler US-Dollar, kaputte Lieferketten und Planungsunsicherheit. Diesen Schaden mit einer Pause zu reparieren, reicht nicht aus. Der Einzelhandel hat bereits Preiserhöhungen vollzogen, Investoren haben Kapital umalloziert und Unternehmen reallozieren ihre Lieferketten. Die Pause verschafft der Wirtschaft lediglich Zeit, sich anzupassen oder zumindest, es zu versuchen. Unternehmen haben 90 Tage Zeit, ihre Lieferketten zu verschieben und neue Produktionsstandorte zu evaluieren.
An den Finanzmärkten herrscht Uneinigkeit darüber, wie sich das ganze hin und her auf die globale Wirtschaft auswirken wird. Laut den Aktienmärkten wird alles „halb so schlimm“. Die allermeisten Aktienregionen legten seit Ende April deutlich an Wert zu – an vorderster Front amerikanische Tech-Giganten. Neue Ankündigungen von Donald Trump versetzen die Märkte immer weniger in Aufruhr. An der Wallstreet hat sich längst eine Haltung namens TACO durchgesetzt. Diese Abkürzung steht für „Trump always chickens out“, zu Deutsch: Trump kneift am Ende immer. Zu einem anderen Urteil gelangen die Anleihenmärkte. Sie sehen die hohe Staatsverschuldung der USA und die durch Zölle ausgelöste Inflation als Problem – gleich wie die Ratingagentur Moody’s, welche der USA das letzte verbliebene AAA-Rating wegnahm. Dementsprechend haben amerikanische Staatsanleihen an Wert verloren resp. die Zinsen in Amerika sind über die gesamte Zinskurve deutlich angestiegen. Investoren verlangen mittlerweile vom amerikanischen Staat höhere Zinsen, um ihm Geld zu leihen, als sie dies von Microsoft tun. Die amerikanischen Zinsen mit einer 3-Jahres Laufzeit liegen aktuell bei 3.94% – Microsoft muss Darlehensgebern lediglich 2.3% Zinsen bezahlen über eine ähnliche Laufzeit. Die US-Notenbank Fed lässt die Leitzinsen einmal mehr unangetastet. Jerome Powell warnte vor steigenden Wirtschaftsrisiken ausgelöst durch die Zollpolitik und stellte die Investoren auf eine Phase ein, in der die Zentralbank so lange wie möglich abwarten will, bevor sie weitere Zinsentscheidungen treffen wird. Die Fed steckt aufgrund ihres Dualmandats (Kontrolle des Arbeitsmarkts und der Inflation) in einer regelrechten Zwickmühle. Denn sowohl die Risiken für eine steigende Inflation hätten sich erhöht als auch die Risiken für den Arbeitsmarkt, so Powell.
AUSBLICK
VORTEIL FÜR EUROPA UND DIE SCHWEIZ?
Nach dem „Deal“ der Trump Administration mit Großbritannien ist wohl klar, dass die Zölle im allerbesten Fall bei 10% festgesetzt werden. Das Yale Budget Lab erwartet, dass der finale effektive US-Zollsatz bei 18% liegen wird. Die Wahrheit liegt wie so oft wohl irgendwo in der Mitte. Damit ist klar, dass die Globalisierung der letzten 75 Jahre auf einen Schlag umgekehrt wird und der USZollsatz im Besten Fall (10% Zoll) vergleichbar mit jenem aus den 40er Jahren sein wird. Dies führt dazu, dass der Inflationsdruck deutlich ansteigen wird – vor allem in den USA. Und auch die Wachstumsraten werden unter diesem durch Handelsbarrieren getriebenen Umfeld leiden. Jüngst korrigierte der internationale Währungsfonds seine Wachstumsraten nach unten. Die USA, der globale Wachstumsmotor, soll demnach im Jahr 2025 nur noch ein reales Wachstum von 1.8% aufweisen – im Januar stand die Prognose noch bei 2.7%. Diese Anpassung stellt die höchste Wachstumsabstufung ausserhalb von Krisen dar. Damit scheint eine Stagflation in den USA fast unumgänglich. Weniger dramatisch waren Korrekturen der erwarteten Wachstumsraten in Europa und der Schweiz – wenn auch auf tieferen Niveaus. Wie bereits im Rückblick erläutert, stellt das Dualmandat der amerikanischen Notenbank die Währungshüter immer mehr vor Probleme. Reagieren sie auf den drohenden Inflationsdruck mit Zinserhöhungen, könnte dies die Stabilität des Arbeitsmarktes bedrohen. Wenn sie hingegen das Wirtschaftswachstum mit Zinssenkungen ankurbeln und damit den Arbeitsmarkt stärken, droht noch mehr Inflationsdruck. Indes preist der Markt aktuellzwei Zinssenkungen bis Ende Jahr ein. In der Schweiz hingegen sollen die Leitzinsen bis zum Jahresende wieder im negativen Bereich liegen. Dies projizieren nicht etwa Ökonomen, sondern dies ist in den Terminkontrakten (Swaps) eingepreist. Die Refinanzierung der USA wird immer mehr zur Herausforderung. Im letzten Monat mussten rund USD 450 Mrd. an Staatsanleihen refinanziert werden.
Das Interesse am Kauf dieser Staatsanleihen war milde gesagt gering. Somit musste die Zentralbank rund 14.4% des Volumens selbst kaufen, auch um die Zinsen resp. die Refinanzierungskosten nicht allzu stark ansteigen zu lassen. Zum Vergleich: In derselben Periode im Vorjahr wurden USD 395 Mrd. refinanziert und der Anteil der Zentralbank war lediglich 3.8%. Die Rolle des US-Dollars als globale Reservewährung bröckelt. Allerdings ist es noch zu früh, um einen klaren Strukturbruch zu erkennen. Denn technische Faktoren wie beispielsweise der Reinvestitionsgrad der Fed oder atypische hohe Emissionen durch ein höheres Haushaltsdefizit können aktuell noch nicht als Haupttreiber ausgeschlossen werden. Zusammenfassend sehen wir die US-Wirtschaft mit einem Stagflations-Szenario, einem eingeschränkten Konsum aufgrund steigender Preise und Verschuldung, einer unberechenbaren Zinspolitik der Fed und einer hartnäckigen Inflation konfrontiert. Europa und die Schweiz sehen wir strukturell besser aufgestellt für die nächsten Quartale. Eine nachhaltigere Schuldenpolitik, gepaart mit staatlichen Investitionen, könnte Europa und der Schweiz helfen. In Zeiten unberechenbarer Zinspolitik setzen wir auf kurzlaufende Anleihen, um das Zinsrisiko zu minimieren. Aufgrund niedriger Risikoaufschläge wählen wir Kreditrisiken sehr gezielt aus. Wir erwarten einen leichten Anstieg der Ausfallraten bei Unternehmensanleihen. Europäische Aktien können strukturell mit mehr Rückenwind rechnen. Das Gewinnwachstum der Unternehmen gerät zunehmend unter Druck. Sektoren und Unternehmen mit hoher Preismacht bleiben weiterhin attraktiv, da sie steigende Kosten an die Kunden weitergeben können. Rohstoffe bieten einen guten Schutz in einem inflationären Umfeld und tragen zur Diversifikation des Portfolios bei. Fremdwährungsrisiken sollten, unter Berücksichtigung der Kosten, selektiv abgesichert werden.
FOKUS
AKTIENINDIZES ALS SPIEGEL DES STRUKTURWANDELS
AKTIENINDIZES ALS ZEITZEUGEN
Aktienindices erzählen die Geschichte der Wirtschaft – von Industrialisierung, Globalisierung bis zur digitalen Revolution. Die Idee, den Aktienmarkt über Indizes greifbar zu machen, ist alt: Der Dow Jones Industrial Average wurde 1896 lanciert, der japanische Nikkei stammt von 1950, der S&P 500 ging 1957 an den Start. In Europa folgten der DAX und der SMI erst 1988, der Euro Stoxx 50 kam mit der Einführung des Euro 1998 dazu.
Ursprünglich waren Indizes vor allem Barometer und Benchmarks für Märkte. Heute sind sie viel mehr: Sie steuern Milliarden an Kapital in Fonds und ETFs. Passiv investieren heisst, dem Index zu folgen – und damit auch seiner Zusammensetzung. Das macht es umso spannender, genauer hinzuschauen: Wer dominiert eigentlich einen Index? Und wie sehr ändert sich das über die Jahre?
INDIZES IM WANDEL
Einige Indizes kamen, um zu bleiben. S&P 500, Dow Jones Industrial Average oder Nikkei sind seit Jahrzehnten feste Grössen – nicht mehr wegzudenken als wichtige Referenzwerte für Anleger weltweit. Sie haben sich etabliert und sind zum festen Bestandteil des Finanzmarkts geworden. Das gilt auch für die etwas jüngeren SMI, DAX oder Euro Stoxx 50. Sie sind längst anerkannte Benchmarks, an denen sich Fonds, ETFs und Anlagestrategien orientieren. Im Laufe der Zeit – insbesondere durch die Globalisierung – kamen viele sinnvolle Ergänzungen hinzu. Etwa der MSCI Emerging Markets, der bis heute einen Blick auf Schwellenländer ermöglicht.
Manche Indizes hingegen verschwanden wieder. Ein Beispiel ist der NEMAX 50, ein Index für Wachstumsund Technologiewerte aus dem deutschsprachigen Raum. Er wurde während des Dotcom-Booms 1997 eingeführt – und verschwand nach dem Platzen der Blase Anfang der 2000er wieder sang- und klanglos. Und für Nostalgiker ein kleiner Rückblick: Als der SMI 1988 startete, zählten neben Nestlé auch Namen wie Ciba-Geigy, Schweizerische Bankgesellschaft, Schweizerischer Bankverein und Schweizerische Kreditanstalt zu den grössten Titeln – Unternehmen, die heute unter Novartis, UBS bzw. als Teil von UBS fortbestehen. Doch das eigentlich Faszinierende ist: Selbst wenn ein Index bleibt – seine Mitglieder und Gewichte tun es oft nicht.
SURVIVAL OF THE FITTEST
Ein Index bildet nicht nur einen Markt ab – er erzählt die Geschichte des wirtschaftlichen Wandels. Unternehmen kommen, Branchen gehen, ganze Sektoren steigen auf und verschwinden wieder in der Bedeutungslosigkeit. 1990 dominierten im S&P 500 Industriekonglomerate, Konsumgüter- und Ölriesen wie IBM, Exxon und General Electric. Der Technologiesektor – damals kaum der Rede wert – stellt heute mit rund 30% den grössten Anteil. Angeführt wird der Index von Apple, Microsoft, Nvidia, Amazon, Meta und Alphabet – mit teils mehr als 6% Gewicht. Die einstigen Platzhirsche? Abgehängt oder gar nicht mehr im Index vertreten.
Auch in Europa zeigt sich diese Dynamik: Der DAX startete 1988 mit Industriewerten, Banken und Versicherungen. SAP, heute mit rund 15% das wertvollste DAX-Mitglied, fehlte damals. Viele Telekom- und Technologiewerte, die in den späten 1990ern aufstiegen, verschwanden nach dem Platzen der Dotcom-Blase wieder. Im Euro Stoxx 50 stehen mit SAP und ASML ebenfalls zwei Tech-Unternehmen an der Spitze – doch insgesamt ist die Sektorenverteilung hier breiter gestreut.
Ein anderes Bild zeigt die Schweiz: Im SMI dominieren seit Jahrzehnten die Schwergewichte Nestlé, Roche und Novartis. Doch auch hier lohnt der Blick zurück: Viele grosse Namen von 1988 sind heute Geschichte – oder firmieren unter anderem Namen weiter.
Auffällig: Die Rotation – also der Wechsel der grössten Titel – ist in den USA deutlich ausgeprägter als in Europa oder der Schweiz. Auch das spiegelt wirtschaftliche Dynamik. Entscheidend ist nicht Grösse, sondern Anpassungsfähigkeit. Wer den Strukturwandel meistert, bleibt vorn. Wer ihn verpasst, verschwindet. Ganz nach dem Prinzip: «Survival of the fittest» – Wandel ist die einzige Konstante.
SEKTOREN UND LÄNDERGEWICHTE
Dieser Wandel zeigt sich nicht nur bei den einzelnen Unternehmen, sondern auch auf Sektoren- und Länderebene. Im S&P 500 stellten 1990 noch Energiewerte einen bedeutenden Anteil, Technologie war Nebensache. Heute dominiert der Technologie-Sektor – Energie ist weit zurückgefallen. Auch global haben sich die Gewichte massiv verschoben: Im MSCI World war Japan Ende der 1980er mit rund 40–45% das Schwergewicht – ein Spiegelbild der damaligen Börsenblase. Heute liegt Japans Anteil bei nur noch 5%. Die USA dagegen bauten ihre Dominanz von rund einem Drittel auf über 70% aus. Europa, zur Jahrtausendwende ebenfalls mit hoher Gewichtung, spielt heute mit rund 13% eine Nebenrolle. Diese Verschiebungen machen deutlich: Indexgewichtungen sind kein Naturgesetz. Sie folgen den Märkten – und damit dem wirtschaftlichen Wandel.
TOP 10: CHANCE ODER RISIKO
Ist es klug, einfach in die grössten Index-Mitglieder zu investieren? Ein Blick in die Vergangenheit zeigt: Diese Strategie kann erfolgreich sein – muss es aber nicht. Immer wieder gab es Phasen, in denen die Top 10 eines Index hinter dem breiten Markt zurückblieben. Besonders eindrücklich war dies in den 2000er-Jahren: Die zehn grössten S&P-500-Unternehmen zur Jahrtausendwende – darunter GE, Cisco, Intel, Exxon, Pfizer und Citigroup – lieferten im folgenden Jahrzehnt deutlich schlechtere Ergebnisse als der Index selbst. Während der S&P 500 im „verlorenen Jahrzehnt“ (2000–2010) insgesamt stagnierte, erlitten viele der damaligen Top-Giganten sogar Verluste.
Das bedeutet nicht, dass die Top 10 immer unterperformen. In anderen Phasen – etwa in den 2010er-Jahren – konnten die grössten Unternehmen auch besser abschneiden als der Gesamtmarkt. Doch die Geschichte zeigt: Eine Konzentration auf die aktuellen Stars birgt das Risiko, den nächsten Strukturwandel zu verpassen. Die Börse lebt vom Wandel. Wer breit investiert, setzt nicht nur auf die heutigen Schwergewichte, sondern auch auf die Aufsteiger von morgen. Diversifikation und die Bereitschaft, wirtschaftlichen Veränderungen Rechnung zu tragen, sind entscheidend.
WACHSTUM DER GIGANTEN
Ein weiteres Zeichen für den Strukturwandel ist der Blick auf die Marktkapitalisierung: Die grössten Unternehmen der Welt sind heute teils ein Vielfaches so gross wie die Spitzenreiter vor 20 Jahren. Apple, Microsoft und Co. erreichen inzwischen Werte von mehreren Billionen USDollar – Dimensionen, die es damals noch gar nicht gab. Möglich machen das auch die Skaleneffekte digitaler Geschäftsmodelle. Während klassische Industriekonzerne oft organisch und langsamer wachsen, können Tech-Unternehmen ihre Umsätze nahezu unbegrenzt skalieren – mit vergleichsweise geringen zusätzlichen Kosten. Das beschleunigt die Entwicklung – und treibt die Konzentration an der Spitze weiter voran.
FAZIT
Indizes sind mehr als Zahlenreihen – sie sind Chronisten des Strukturwandels. Ihre Zusammensetzung zeigt, welche Branchen und Unternehmen den Wandel der Wirtschaft prägen. Dabei gilt: Nur wenige bleiben über Jahrzehnte an der Spitze. «Survival of the fittest» ist das Prinzip, nicht Beständigkeit um jeden Preis.
Gerade deshalb lohnt es sich, breit zu investieren – über Regionen, Sektoren und Unternehmensgrössen hinweg. So nimmt man automatisch an den Erfolgen der Gewinner von morgen teil. Diversifikation bleibt damit der beste Weg, um langfristig am Wandel der Wirtschaft und an dessen Profiteuren beteiligt zu sein. Oder kurz gesagt: Die Indizes wandeln sich, die Wirtschaft auch – und das ist gut so.

